Die Bleiwäscher Dorfsymposien
BLEIWÄSCHE 1, vom 28. - 30. März 1979
Thema: "DIE ERHALTENDE DORFERNEUERUNG ALS OBJEKT DER GENETISCHEN SIEDLUNGSFORSCHUNG"
Im wesentlichen ging es darum, die Wissenschaft für die im politischen Raum neu gestellte Aufgabe Dorferneuerung zu interessieren. Darüber hinaus wurden die inhaltlichen und methodischen Möglichkeiten der genetischen Siedlungsforschung für die gegenwärtige und zukünftige Siedlungsentwicklung aufgezeigt. Außerdem wurden die Kriterien der erhaltenden Erneuerung, die eine angemessene Bewahrung der überlieferten Dorfmerkmale bzw. Dorfidentität bei Erneuerungsmaßnahmen beinhaltet, aufgearbeitet. Der genetischen Siedlungsforschung wurden die folgenden Aufgaben gestellt: Wissenschaftliche Analyse, Klassifizierung und Darstellung der historisch-geographischen Substanzen in der heutigen Kulturlandschaft; Erläuterungen der heutigen Funktionen vor dem Hintergrund der früheren Bedeutungen und des funktionalen Wandels; Erforschung der Beziehungen der Dorfbewohner zur historisch entstandenen Umwelt; Transparentmachen der wissenschaftlichen Ergebnisse für Dorfbewohner, Politiker und Planer, um deren kritisches historisches Bewusstsein – als Grundlage zur Durchführung einer erhaltenden Dorferneuerung – zu stärken.
Publikation: BERICHTE ZUR DEUTSCHEN LANDESKUNDE, 53 (1), 1979: 49 ff.
BLEIWÄSCHE 2, vom 19. - 21. März 1980
Thema: "DIE ERHALTENDE DORFERNEUERUNG ZWISCHEN WISSENSCHAFT, PRAXIS UND DENKMALPFLEGE"
Diese Tagung galt vor allem dem intensiven Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Planung über die Ziele und Maßnahmen der Dorferneuerung. In Erweiterung des 1. Bleiwäscher Dorfforums wurde das Konzept einer ganzheitlichen Dorfentwicklung erarbeitet, die nicht nur das äußere Bild, sondern auch das innere Funktionieren eines Dorfes, die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Dorfbewohner berücksichtigt. Für Förderungsmassnahmen im Dorf wurden daher u.a. folgende neue Schwerpunkte gefordert: Erhaltung bzw. Wiedergewinnung der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Funktionsvielfalt im Dorf, z.B. Geschäft, Gasthof, Schule, Kindergarten, Post; Erhaltung bzw. Erneuerung räumlicher Kommunikationsbereiche im Dorf wie Straßen, Plätze und Höfe, die als traditionelle Arbeits-, Spiel- und Feierabendräume dienen. Als besonders notwendig erschien es, die zunehmende soziale und demographische Aushöhlung der alten Dorfkerne zu stoppen und vor allem junge Familien für das Leben in den Dorfmitten zu gewinnen. Es wurde festgestellt, dass vielfach ein zu enges Ressortdenken in Wissenschaft und Politik die ganzheitliche Betrachtung und Behandlung des Dorfes verhindert.
Publikation: BERICHTE ZUR DEUTSCHEN LANDESKUNDE, 54 (1), 1980: 39 ff.
BLEIWÄSCHE 3, vom 17. - 19. März 1982
Thema: "DORFBEWOHNER UND DORFENTWICKLUNG"
Im Mittelpunkt stand das Bemühen von Wissenschaft, Verwaltung und Politik, dem Dorfbewohner näher zu kommen. Diese Zielsetzung resultierte aus der allgemeinen Erkenntnis, dass in der Vergangenheit bei den meisten Dorfplanungen und auch Dorfforschungen die Vorstellungen der Dorfbewohner ignoriert bzw. zu wenig nachgefragt worden sind. Die bisher geübten Formen der "Bürgerbeteiligung" wurden von Forschern, Planern und Dorfbewohnern als unzureichend beurteilt. Ein grundlegendes Problem liegt darin, dass die wissenschaftlichen Zugänge zum Dorf äußerst schwierige sind. Über die hierzu geeigneten Methoden besteht in der Dorfforschung weder Zufriedenheit noch Konsens. In dem Bemühen, die Vorstellungen der Dorfbewohner besser zu erfahren und stärker zur Geltung zu bringen, sind von Forschern und Planern folgende Grundsätze zu beachten: Dorfforschung und -planung erkennen und akzeptieren die Notwendigkeit einer wirklich lokalspezifischen Dorfentwicklung. Forschung und Planung sind von Beginn an kommunikativ, d.h. als ein beidseitiger Lehr-Lern-Vorgang angelegt. In der Vergangenheit war es vielfach so, dass "Experten" Analysen und Konzepte erarbeitet haben, die erst nach Fertigstellung den Dorfbewohnern vorgestellt und erläutert wurden. Statt dessen sollten die Dorfbewohner bei Planungen von Anfang an zum Mitdenken, Mitsprechen und Mitverantworten angehalten werden, um die ständigen Gefahren der Fremdbestimmung zu mindern.
Publikation (einschl. der Bleiwäscher "Resolutionen" 1, 2 und 3): HENKEL, G. (Hg.): Dorfbewohner und Dorfentwicklung. – Essener Geographische Arbeiten, 2. Paderborn (Schöningh), 1982.
BLEIWÄSCHE 4, vom 21. - 22. Mai 1984
Thema: "LEITBILDER DES DORFES. NEUE PERSPEKTIVEN FÜR DEN LÄNDLICHEN RAUM"
Die gegenwärtigen Leitbilder ("gedachte Ordnungen" oder "geistige Formprinzipien") zeigen den wahrscheinlichen Weg in die Zukunft. Die Frage nach der Zukunft des Dorfes bzw. ländlichen Raumes ist damit zugleich eine Frage nach den gegenwärtig dominierenden politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Leitbildern. Das Thema Leitbilder des Dorfes wurde zunächst – über den "Umweg" der Spezialdisziplinen – aus der Sicht sieben verschiedener Fächer behandelt: Agrarwissenschaft, Architektur/Siedlungsplanung, Geographie, Geschichte, Kommunal-/Verwaltungs-/Politikwissenschaft, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft. In einer Zusammenschau ließen sich einige übergreifende Leitbilder bzw. Entwicklungslinien herausfiltern: Die Entwicklung zum politischen, administrativen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentralismus verläuft in unserer Gesellschaft zumindest mittelfristig ungebremst. Die zurückliegenden Reformen, z.B. im kommunalen, schulischen, postalischen, agrarischen Bereich, haben fast systematisch die Entmündigung des Landes begünstigt. Durch ständige Autonomie- und Autarkieverluste sind die vielfältigen Möglichkeiten des Selbsthandelns und Selbstverantwortens im ländlichen Raum auf ein Minimum reduziert. Die Frage, ob sich der ländliche Raum in absehbarer Zeit aus der Fremdsteuerung durch die Verdichtungsgebiete und höherrangigen zentralen Orte befreien kann, wurde sehr zurückhaltend beurteilt. Übereinstimmung bestand darin, dass die zukünftigen Leitbilder des ländlichen Raumes positiv durch mehr Selbstverantwortung Selbstbestimmung geprägt sein müssen. Hilfe "von oben" im Sinne einer umfassenden funktionalen Dezentralisierung ist jedoch nur begrenzt zu erwarten. Es bleibt daher die Hoffnung auf die eigene Regenerationskraft des ländlichen Raumes.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Leitbilder des Dorfes. Neue Perspektiven für den ländlichen Raum. – Berlin-Vilseck (Verlag Dr. Tesdorpf), 1984.
BLEIWÄSCHE 5, vom 12. - 13. Mai 1986
Thema: "KOMMUNALE GEBIETSREFORM UND AUTONOMIE IM LÄNDLICHEN RAUM"
Das Thema "Kommunale Gebietsreform" hat wie kaum eine andere Reform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die innenpolitische Diskussion beschäftigt. In den überregionalen Schlagzeilen waren seinerzeit zwar die Eingemeindungen von Städten wie Wattenscheid oder Gießen und Wetzlar, die Masse der Eingemeindungen vollzog sich jedoch im ländlichen Raum, und die Veränderungen waren hier nicht minder einschneidend. Etwa 16.000 Dörfer der Bundesrepublik verloren in den 60er und 70er Jahren ihre politische Selbständigkeit. Ungefähr 250.000 kommunale Parlamentssitze wurden im ländlichen Raum beseitigt. Mit der Distanz von 10-15 Jahren erfolgte in Bleiwäsche eine kritische Auseinandersetzung mit der kommunalen Gebietsreform und ihren verschiedenartigen Auswirkungen. Es wurde gefragt nach den "vorbereitenden" Beweggründen und Argumenten in den 60er und frühen 70er Jahren sowie nach den tatsächlichen positiven und negativen Ergebnissen und Konsequenzen der Reform. Es wurden empirische Erhebungen vorgetragen, die belegen, dass die Eingemeindungen von den betroffenen Bürgern auch heute noch als substantieller und schmerzhafter Verlust empfunden werden. Es wurde von neugebildeten "Dorfräten" berichtet, die quasi im außerparlamentarischen Raum entstehen, um die Defizite an lokalpolitischer Meinungs- und Willensbildung abzubauen. Nach einer umfassenden Bestandsanalyse gelang es in Bleiwäsche, eine Reihe von Vorschlägen zur Minderung der schwerwiegenden Folgen der Gebietsreform und zur Stärkung lokaler Autonomien zu erarbeiten.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Kommunale Gebietsreform und Autonomie im ländlichen Raum. – Essener Geographische Arbeiten, 15. Paderborn (Schöningh), 1986.
BLEIWÄSCHE 6, vom 16. - 17. Mai 1988
Thema: KULTUR AUF DEM LANDE
Die Existenz einer eigenständigen ländlichen Kultur wird bisweilen bestritten, die evtl. im ländlichen Raum anzutreffende Kultur wird nicht selten als "abgesunkene Stadtkultur" bezeichnet.
Die städtische Kultur gilt vielfach als Hochkultur und damit höherwertig als die Kultur des ländlichen Raumes. Dabei steht vor allem die institutionalisierte Kultur in Form von Opern- und Schauspielhäusern, Museen und Kunstgalerien im Zentrum der Betrachtung. Mit solchen Wertungen wird jedoch der Kulturbegriff verkürzt. Kultur wurde in Bleiwäsche definiert als die Gesamtheit von Wertorientierung, Verhaltensweisen und geistigen wie gestalterischen Leistungen ("Kultur-schöpfungen"), die von den Menschen – als kulturfähigen Wesen – in der Auseinandersetzung mit der Mitwelt geschaffen und praktiziert werden. Bei einem solch ganzheitlichen Verständnis von Kultur, das auch das soziale Leben einschließt, gewinnt die Kultur auf dem Lande eine gleiche Wertigkeit wie die Stadtkultur. Ländliche Kultur ist persönlicher, dichter, konkreter und mehr durch Handeln, durch aktive Teilhabe der Bevölkerung geprägt ("Aktiv-Kultur"), ihr Charakteristikum bleibt –trotz der Wechselbeziehungen zur städtischen Kultur– die Überschaubarkeit und Lokaltypik. Nach einer ausführlichen Beschreibung der (Veränderungen der) ländlichen Kultur in der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft wurden die aktuellen Möglichkeiten und zukünftigen Chancen für die ländliche Kultur erörtert. Eine der wesentlichen gesellschaftlichen Aufgaben der ländlichen Kultur wurde darin gesehen, "Frieden mit der Natur" zu schaffen.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Kultur auf dem Lande. – Essener Geographische Arbeiten, 16. Paderborn (Schöningh), 1988.
BLEIWÄSCHE 7, vom 7. - 8. Mai 1990
Thema: "SCHADET DIE WISSENSCHAFT DEM DORF?"
Das sicherlich z.T. rhetorisch gemeinte Tagungsthema hat seine Begründung und Schubkraft in der bisherigen politischen Behandlung des ländlichen Raumes, die zunehmend von einer urbanzentralistischen Fremdsteuerung geprägt wird. Der Staat trägt mit vielen externen Maßnahmen der Strukturpolitik (über Raumordnung und Fachpolitiken) dazu bei, ländliche Gebiete zu schwächen. Hieraus wurde die Kernfrage der Tagung abgeleitet: Leistet die Wissenschaft der zunehmenden politischen Fernsteuerung und Schwächung des ländlichen Raumes Vorschub? Schadet die Wissenschaft also dem Dorf? Kann die Wissenschaft in einer so eindeutig von den urbanen Zentralen bestimmten Gesellschaft überhaupt gegen die allgemeinen Trends steuern, gar zu einem Anwalt des Dorfes werden? Gibt es Ansätze für neue wissenschaftliche Zugänge zum Dorf, für eine dorfgerechte Raumordnungs- und Infrastrukturpolitik? Wie können die von Politik und Wissenschaft entmündigten Bürger und Politiker des ländlichen Raumes wieder in den Stand gebracht werden, an der Gestaltung ihrer Lebensräume durch eigenes Verantworten und Handeln mitzuwirken? Tatsächlich kündigt sich in jüngster Zeit ein wichtiger Paradigmenwechsel in der Wissenschaft an: die Abkehr vom herkömmlichen Zentrale Orte-Konzept in der Raumordnung und bei den Fachplanungen.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Schadet die Wissenschaft dem Dorf? – Essener Geographische Arbeiten, 22. Paderborn (Schöningh), 1990.
BLEIWÄSCHE 8 (in Wilhelmsthal/Thüringen) vom 25.-26. Mai 1992
Thema: "DER LÄNDLICHE RAUM IN DEN NEUEN BUNDESLÄNDERN"
Die Tagung, die erstmals nicht in Bleiwäsche, sondern dem Thema entsprechend, im neuen Bundesland Thüringen stattfand, hatte drei Ziele: Analyse der Entwicklung des ländlichen Raumes in der DDR, Beleuchtung der gegenwärtigen Situation nach der Wiedervereinigung, Vorstellung von Perspektiven für die Zukunft. Nach der Behandlung raumordnungspolitischer Konzepte für den ländlichen Raum standen die Dörfer mit ihren Wirtschafts-, Siedlungs-, Sozial- und Kommunalstrukturen im Mittelpunkt des Interesses. Der Beschreibung von spezifischen Potentialen und Problemen des ländlichen Raumes bzw. Dorfes folgte die Formulierung von Leitzielen. Zuletzt wurde der politische Handlungsbedarf auf einige wesentliche Strategien konzentriert:
Regional orientierte, lokal präsente "aktivierende" Wirtschaftsförderung, um vorhandene Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten zu erhalten und neue zu schaffen, mit Augenmaß: nicht jedes Dorf benötigt ein riesiges Gewerbegebiet, aber jedes Dorf darf auch Wirtschaftsstandort sein.
Langfristige Stabilisierung der mehrgliedrigen Agrarstruktur (Genossenschaften, Gruppenlandwirtschaft, Einzelbetriebe).
Vorrang von Erhalt und Umnutzung gegenüber Flächensanierung in der Dorferneuerung, Revitalisierung der Ortskerne.
Stärkung der kommunalen Kompetenz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, Aufbau starker Kommunalverwaltungen in "Ämtern" oder "Verwaltungsgemeinschaften".
Förderung des Ehrenamtes, des Vereins- und Verbandswesens sowie der regionalen Aktivitäten.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Der ländliche Raum in den neuen Bundesländern. – Essener Geographische Arbeiten, 24. Paderborn (Schöningh), 1992.
BLEIWÄSCHE 9, vom 9. - 10. Mai 1994
Thema: "AUSSERLANDWIRTSCHAFTLICHE ARBEITSPLÄTZE IM LÄNDLICHEN RAUM"
Angesichts der seit Jahrzehnten gravierenden Arbeitsplatzverluste in der Land- und Forstwirtschaft sowie im ländlichen Handwerk sind Anstrengungen und Strategien zur Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze im ländlichen Raum das Gebot der Stunde. Im Mittelpunkt der Bleiwäscher Tagung standen innovative Projekte und Modelle, die in jüngster Zeit erprobt wurden und den Anschein vermitteln, dass sie erfolgversprechend und möglicherweise auf andere Orte und Regionen übertragbar sind. U.a. wurden die folgenden Themen behandelt:
Das Landhandwerk im neuzeitlichen Deutschland, Bilanz und Perspektiven der Beschäftigungsentwicklung im ländlichen Raum,
Ursachen der relativ niedrigen Arbeitslosenquote im Hochsauerlandkreis (NRW),
Arbeitsplatzsicherung durch Kultur,
Kommunalpolitik und dörfliches Handwerk,
Beratung zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Landfrauen,
Informations- und Kommunikationstechniken im ländlichen Raum,
Sanfter Tourismus als Wirtschaftsfaktor,
Ländliche Arbeitsplätze durch dezentrale Energieversorgung,
Nachbarschaftsläden und Postagenturen.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze im ländlichen Raum. – Essener Geographische Arbeiten, 26. Essen (Klartext Verlag), 1995.
BLEIWÄSCHE 10, vom 13. - 14.Mai 1996
Thema: "DAS DORF IN WISSENSCHAFT UND KUNST"
Die unterschiedlichen Annäherungen und Darstellungen des Dorfes durch die Wissenschaft und die Kunst standen im Mittelpunkt dieser Tagung. Wissenschaftliche Forschungen verfolgen zumeist spezielle Fragestellungen, suchen nach Regeln und Kategorien und formulieren auf einem hohen Abstraktionsniveau. Anschaulichkeit und Umsetzungsmöglichkeit leiden oft darunter. Kann die Kunst zusätzliche Erkenntnisse der Realitäten des Dorfes und des ländlichen Raumes liefern bzw. vermitteln, die der wissenschaftlichen Betrachtungsweise verschlossen bleiben?
Wissenschaft beruht auf rationalen und objektiven Kriterien, Kunst darf emotional und subjektiv sein. Wissenschaft will nach methodischen Prinzipien möglichst eindeutig klären, Kunst lässt an einem Ereignis oder Objekt grundsätzliche und vielfältige Assoziationen und Interpretationen zu. Kunst kann die Sinne weit mehr reizen und fesseln als Wissenschaft.
In dreifacher Hinsicht muss es ein Anliegen der wissenschaftlichen Tätigkeit sein, die Vorteile des künstlerischen Umgangs mit Dorf und ländlichem Raum zu nutzen. Die Wissenschaft sollte nicht nur spezielle sondern auch ganzheitliche Fragen behandeln (z.B. zur Autonomie des Dorfes, Kulturlandschaftspflege, zu Dorfmonographien). Sie sollte nicht nur quantitative Methoden pflegen sondern auch qualitative und sensitive, die alle Sinne einbeziehen (z.B. die früher geübte teilnehmende Beobachtung). Sie sollte sprachlich verständliche, ausdrucksstarke sowie anschauliche (z.B. durch Fotos und Filme) Beschreibungen vorlegen.
In großer Vitalität haben sich in den letzten Jahren dörfliche kulturell-künstlerische Aktivitäten entfaltet. Diese haben nicht zuletzt für die Bevölkerung einen hohen Bildungswert. Wissenschaft und Planung sollten diese Fülle der Dorfkultur vor Ort respektieren und umfassend in ihre Vorhaben einbeziehen.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Das Dorf in Wissenschaft und Kunst. – Essener Geographische Arbeiten, 28. Essen (Klartext Verlag), 1997.
BLEIWÄSCHE 11, vom 25. - 26. Mai 1998
Thema: "20 JAHRE DORFERNEUERUNG – BILANZEN UND PERSPEKTIVEN FÜR DIE ZUKUNFT"
Das staatliche Programm der Dorferneuerung hat im ländlichen Raum Akzente gesetzt und Spuren hinterlassen. Das Bleiwäscher Dorfsymposium versucht zunächst, die bisherige Entwicklung aus verschiedenen Blickwinkeln zu recherchieren und kritisch zu bewerten. Im Mittelpunkt stehen dann Konzepte und Beispiele, die als Vorbilder gelten können. Nicht zuletzt wird nach den Leitbildern gefragt, die heute für die zukünftige Entwicklung fixiert werden müssen. Dabei werden vor allem auch die neuen globalen Anforderungen der Kommunalen Agenda 21 eine Rolle spielen.
Dorferneuerung wird in Deutschland quantitativ und qualitativ sehr unterschiedlich betrieben. Vereinfacht ist jedoch eine gemeinsame Schnittmenge auszumachen, die sich auch in vielen Köpfen festgesetzt hat: Fassadensanierung und Dorfplatzpflasterung. Aber Dorferneuerung will und sollte mehr sein als Fachwerksanierung oder eine Platzgestaltung mit öffentlicher Förderung, auch mehr als ein Bündel derartiger Maßnahmen. "Dorferneuerung ist ein Prozeß, der Prozeß des gemeinsamen Denkens, Sprechens, Planens und Tuns mit dem Wissen um den Schatz von Tradition und mit dem Blick auf die künftige Entwicklung des Dorfes." (J. THOMAS in LÖBF-Mitteilungen 1/1998).
Von einer solchen komplexen Dorferneuerung sind wir immer noch weit entfernt. Gerade in jüngsten Publikationen wird resümiert, dass die Dorferneuerung dem Anspruch eines integralen Entwicklungsprogramms für ländliche Siedlungen – tatsächlich und von den theoretischen Grundlagen her – nicht gerecht wird. Für viele Bürger ist Dorferneuerung zu schematisch, zu bürokratisch. Sie hätten die Dorferneuerungsmittel lieber für einen Kindergarten, ein Jugendfreizeithaus, eine Verwaltungsnebenstelle oder die Erhaltung bzw. Ansiedlung von Handwerksbetrieben oder Geschäften ausgegeben.
Das Symposium hat im interdisziplinären Diskurs Bilanz gezogen und zugleich Anregungen gegeben, das alles in allem erfolgreiche Steuerungsmittel Dorferneuerung weiter zu verbessern, d. h. nicht zuletzt komplexer, flexibler sowie orts- und bürgernäher auszurichten.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): 20 Jahre Dorferneuerung – Bilanzen und Perspektiven für die Zukunft. – Essener Geographische Arbeiten, 30. Selbstverlag Institut für Geographie der Universität Essen. Essen 1999.
BLEIWÄSCHE 12, vom 22. - 23. Mai 2000
Thema: "DAS DORF IM EINFLUSSBEREICH VON GROSSSTÄDTEN"
In Deutschland unterscheidet die Raumordnung zumindest drei verschiedene Kategorien ländlicher Räume. Im Mittelpunkt staatlicher und "ländlicher" Interessen steht zumeist der periphere ländliche Raum. Am stärksten verändert aber hat sich –oft bis zur Unkenntlichkeit der historisch gewachsenen Strukturen– der ländliche Raum im Einflussbereich von Großstädten.
Auf diese, dem permanenten Druck der Großstadt ausgesetzte Dorflandschaft richtete sich das Interesse des interdisziplinären Dorfsymposiums Bleiwäsche 12. Dabei wurde u. a. auch die seit einigen Jahren ausgetragene "Zwischenstadt"-Diskussion weitergeführt, wobei hier jedoch der vorrangige Blickwinkel ausdrücklich dem Dorf galt.
Zunächst ging es darum, die bisherige Entwicklung darzustellen und kritisch zu bewerten. Im Mittelpunkt standen dann Konzepte und Beispiele, die als Vorbilder für die Zukunft gelten können. Nicht zuletzt wurde auch nach Leitbildern gefragt, die heute für die Zukunft fixiert werden müssen. Im Dialog von Wissenschaft, Verwaltung, Planung und Praxis wurden dabei u.a. Fragen einer persistenten ländlichen Identität oder die neuen globalen Anforderungen der Kommunalen Agenda 21 angesprochen.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Das Dorf im Einflussbereich von Großstädten. – Essener Geographische Arbeiten, 31. Selbstverlag Institut für Geographie der Universität Essen. Essen 2000.
BLEIWÄSCHE 13, vom 05. - 07. Mai 2002
Thema: "BÜRGERBÜRO – BÜRGERLADEN – KOMM-IN. MULTIFUNKTIONALE DIENSTLEISTUNGSZENTREN IM LÄNDLICHEN RAUM. EIN MODELL, UM DEN INFRASTRUKTURVERFALL IN DÖRFERN ZU STOPPEN?"
Die Infrastrukturverluste in deutschen Dörfern seit etwa 50 Jahren sind gravierend und offenbar kaum aufzuhalten. Zwar gibt es Unterschiede hinsichtlich der Rückgänge in den verschiedenen Gebietskategorien ländlicher Räume sowie nach der Größe der Dörfer. Kleine Dörfer sind in der Regel am stärksten betroffen. Aber der Trend gilt allgemein. Nach Schätzungen betragen die Verluste seit den 1950er Jahren bundesweit zwischen 50 und 90 Prozent.
Gibt es einen Ausweg aus diesem Negativtrend? Das interdisziplinäre Dorfsymposium Bleiwäsche 13 fokussierte sein Interesse auf ein zentrales Entwicklungsproblem des ländliches Raumes und einige erfolgsversprechende Hoffungszeichen am Horizont. Können multifunktionale Dienstleistungszentren, die öffentliche und private Serviceangebote bündeln, den Abwärtstrend aufhalten? Können also Einrichtungen wie Bürgerbüro, Bürgerladen oder KOMM-IN ein Modell für Deutschland werden, um den Infrastrukturverfall in Dörfern zu stoppen?
Zunächst ging es in Bleiwäsche darum, die bisherige Infrastrukturentwicklung in Dörfern darzustellen und kritisch zu bewerten. Im Mittelpunkt standen dann Konzepte und Beispiele, die eventuell als Vorbilder für andere Regionen und Orte gelten können. Es wurde dabei auch nach den Leitbildern gefragt, die heute für die Zukunft entwickelt und fixiert werden müssen. Im Dialog von Wissenschaft, Verwaltung, Planung und Praxis ging es nicht zuletzt um die Potentiale der ökonomischen, kulturell-sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit des ländlichen Raumes.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Bürgerbüro – Bürgerladen – KOMM-IN. Multifunktionale Dienstleistungszentren im ländlichen Raum. – Essener Geographische Arbeiten, 34. Selbstverlag Institut für Geographie der Universität Essen. Essen 2002.
BLEIWÄSCHE 14, vom 16. - 18. Mai 2004
Thema: "DÖRFLICHE LEBENSSTILE – MYTHOS, CHANCE ODER HEMMSCHUH DER LÄNDLICHEN ENTWICKLUNG?"
Viele Traditionen des Lebens und Arbeitens sind in den letzten Jahrzehnten durch Individualisierung, Informationstechnologie und Globalisierung ins Wanken geraten. Selbst auf dem Lande scheint nichts mehr so zu sein, wie es noch vor 50 Jahren war. Eine weitverbreitete These spricht von einer sich beschleunigenden Angleichung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse in Stadt und Land.
Seit einigen Jahren treten Fragen der Lebensstile, der (Wohn-)Zufriedenheit und des Gemeinwohls immer stärker in die öffentliche Diskussion. Besonders in den Fächern Soziologie, Geographie und Kulturanthropologie sind in den letzten zehn Jahren zahlreiche theoretische und empirische Arbeiten zu dörflichen und städtischen Lebensstilen entstanden. Deren Ergebnisse sind für manche Beobachter überraschend. Trotz aller Angleichungsprozesse bestehen offenbar gravierende Unterschiede zwischen dörflichen und städtischen Lebensstilen. Ländliche Lebensstile genießen außerdem eine hohe Wertschätzung in Stadt und Land.
Das interdisziplinäre Dorfsymposium Bleiwäsche 14 richtete sein Interesse auf die Lebenskultur des Dorfes. Zunächst wurde der Wandel der dörflichen Lebensstile von etwa 1950 bis heute skizziert. Im Mittelpunkt standen dann die wesentlichen Merkmale der gegenwärtigen dörflichen Lebensstile. Des weiteren wurden die Chancen und Auswirkungen ländlicher Lebensstile auf die dörfliche Kommunal-, Kirchen- und Vereinspolitik untersucht. Im Dialog von Wissenschaft, Verwaltung, Planung und Praxis ging es nicht zuletzt um die Frage, ob ländliche Lebensstile für die Gesamtgesellschaft von Nutzen sind.
Publikation: HENKEL, G. (Hg.): Dörfliche Lebensstile. Mythos, Chance oder Hemmschuh der Ländlichen Entwicklung? – Essener Geographische Arbeiten, 36. Selbstverlag Institut für Geographie der Universität Duisburg-Essen. Essen 2004.
BLEIWÄSCHE 15, vom 14. - 16. Mai 2006
Thema: "LEERSTAND VON GEBÄUDEN IN DÖRFERN – BEGINN DER DORFAUFLÖSUNG ODER CHANCEN DURCH UMNUTZUNG?"
Noch vor 50 Jahren waren alle Dörfer in Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes „voll“; jeder Quadratmeter war genutzt durch Wohnungen für Menschen, Ställe für Tiere, Speicher für Erntevorräte und Schuppen für Maschinen. Durch Neubausiedlungen am Rande der Dörfer, aber auch durch die bald einsetzende Landflucht entstanden dann bereits in den 1960er Jahren Leerstände in den Dorfkernen, auf die man mit den staatlichen Förderprogrammen der Dorfsanierung und Dorferneuerung reagierte.
Inzwischen ist es in den meisten Dörfern zu einer zweiten Welle des Gebäudeleerstandes gekommen. Außerdem sind besonders viele alte Bauernhäuser nur noch von ein bis zwei älteren Personen bewohnt, eine Nutzungsnachfolge ist höchst ungewiß. Die Probleme sind brennend, sie gehen an die Substanz des Dorfes, und sie sind in West- wie in Ostdeutschland flächendeckend verbreitet. Gleichwohl gibt es Unterschiede von Region zu Region, besonders betroffen sind offenbar die großen Bauernhäuser und Gehöfte.
Das 15. interdisziplinäre Dorfsymposium in Bleiwäsche stellte den Leerstand von Gebäuden in Dorfkernen in den Mittelpunkt. Zunächst wurden Ausmaß und Ursachen dieser Entwicklung vorgetragen. Im Brennpunkt standen dann die Fragen der notwendigen Umnutzungen. Hier wurden sowohl generelle Handlungsstrategien und Förderprogramme als auch gelungene Beispiele aus den Kommunen vorgestellt. Im Dialog von Wissenschaft, Verwaltung, Planung und Praxis ging es nicht zuletzt um die Frage, ob der Kernbestand des Dorfes zu retten ist, ob dessen baulich - kulturelle, ökonomisch-soziale und, ökologische Potentiale an die nächste Ge¬neration weitergegeben werden können.
Publikation: HENKEL, G. und D. SCHMIED (Hg.): Leerstand von Gebäuden in Dörfern. Beginn der Dorfauflösung oder Chancen durch Umnutzung? Rural 1. Cuvillier Verlag. Göttingen 2007.
BLEIWÄSCHE 16, vom 4. - 6. Mai 2008
Thema: "WAS DÖRFER STARK UND LEBENDIG MACHT"
Die Stärke und die Lebendigkeit eines Dorfes liegen oft im Verborgenen. Sie erschließen sich – zumal für den Außenstehenden – in der Regel nicht durch kurze Besuche oder statistische Einordnungen. Auch Wissenschaftler tun sich bisweilen schwer, hinter die Fassaden des Dorfes zu gelangen und dessen Potentiale und Schwächen zu erkennen. Wer aber wirklich genauer und länger hinschaut, wird überrascht sein von der ökonomischen, sozialen und kulturellen Vitalität und Komplexität des Landlebens.
Allerdings gibt es erstaunliche und überraschende Unterschiede von Dorf zu Dorf, von Dorfregion zu Dorfregion. Während viele Dörfer vor Kraft und Lebendigkeit förmlich sprühen, erscheinen andere – oft Nachbardörfer – wie gelähmt. Was sind die Ursachen bzw. Gründe für derartige Unterschiede? Welche inneren und äußeren Kräfte sind es, die Dörfer stark und lebendig machen – oder in Lethargie verharren lassen, wenn sie fehlen?
Das 16. interdisziplinäre Dorfsymposium in Bleiwäsche rückte diese zentralen wie komplexen und schwierigen Fragen in den Mittelpunkt. Zunächst stellten einige Dorfforscher aus unterschiedlichen Disziplinen interessante und wichtige Untersuchungen zum Thema vor. Besonders breiten Raum nahmen dann konkrete Erfahrungen von Bürgermeistern und anderen Dorfakteuren ein, die über „außergewöhnliche“ Dörfer mit sehr unterschiedlichen Stärken, Strategien und Leitbildern berichteten. Schließlich wurde die Frage gestellt und beantwortet, was ländliche Gemeinden von sich aus tun können bzw. sollten, um Dörfer stark und lebendig zu machen. Im Dialog von Wissenschaft, Verwaltung, Planung und Praxis ging es in Bleiwäsche nicht zuletzt um die Kernaufgabe der Zukunft, wie die ökonomischen, sozialen und kulturellen Potentiale des Dorfes gewürdigt, gefördert und an die nächste Generation weitergegeben werden können.
Publikation: HENKEL, G. und D. SCHMIED (Hg.): Was Dörfer stark und lebendig macht. Rural 2. Cuvillier Verlag. Göttingen 2008 (geplant).